Jürgen Hofmann: Ansprache zur Enthüllung der Bersarin-Erinnerungstafel Sehr geehrte Anwesende Wir haben uns hier versammelt, um an einen außergewöhnlichen Menschen zu erinnern, an den ersten 1945 eingesetzten Stadtkommandanten Berlins, der ein Glücksfall für Berlin in dieser schwierigen Zeit war: Generaloberst Nikolai Erastowitsch Bersarin. An dieser Straßenkreuzung verunglückte der leidenschaftliche Motoradfahrer auf den Tag genau vor 75 Jahren tödlich. Eigentlich hätte er gar nicht selbst fahren dürfen. Über die Einschränkung seiner Entscheidungs- und Bewegungsspielräume setzte er sich wohl nicht das erste Mal hinweg. Bersarin waren nur vier Jahrzehnte Lebenszeit vergönnt. Es war aber ein pralles und ereignisreiches Leben. Das Waisenkind einer Arbeiterfamilie aus Sankt Petersburg fand 1918 in der sich neu formierenden Roten Armee eine Ersatzfamilie. Hier konnte er die Bildung erwerben, die ihm zuvor wegen des ersten Weltkrieges und seiner sozialen Herkunft verwehrt war. Im fernen Osten formte sich sein Talent zur militärischen Führung, u. a. bei der Abwehr der japanischen Invasionsversuche. Die Vorwürfe, er sei nach dem Einmarsch der Sowjetarmee in die baltischen Republiken verantwortlich für die Deportation tausender Bürger, ist von der Forschung widerlegt. Bersarin diente zu dieser Zeit noch im fernen Sibirien. Es ist hier nicht der Platz, seine militärische Laufbahn im Detail zu verfolgen. Es sagt aber einiges über seinen Charakter aus, dass er nach schwerer Verwundung erneut an die Front strebte. Als Oberbefehlshaber der 5. Stoßarmee war er maßgeblich an der Berliner Operation beteiligt. Seine Armee bildete den Brückenkopf Küstrin, erreichte als erster Verband Berliner Territorium und war in die Kämpfe um das Stadtzentrum eingebunden. Noch bevor die Waffen ruhten wurde er zum Stadtkommandanten ernannt. Bereits in diesen Tagen, legte er Grundlagen für die Überlebensfähigkeit der schwer zerstörten Großstadt. Spezialkräfte seiner Stoßarmee verhinderten die beabsichtigte Sprengung des Großkraftwerkes Klingenberg. In den wenigen Wochen seiner Amtszeit als Stadtkommandant legte er Grundlagen dafür, dass sich Berlin aus den Zerstörungen und dem Chaos des Krieges allmählich aufrichten konnte. Eine knappe Woche nach Unterzeichnung der bedingungslosen Kapitulation fuhr die erste U-Bahn wieder. Wasser- und Gasversorgung wurden so gut wie möglich hergestellt, die Lebensmittelversorgung abgesichert, ein Magistrat und Bezirksverwaltungen eingesetzt. Auch Theater und Kultureinrichtungen sollten wieder öffnen. Die Würdigung als Ehrenbürger Berlins ist begründet und selbst nach kritischer Prüfung gerechtfertigt. An dieser Stelle eine prinzipielle Bemerkung zur historischen Erinnerung. Geschichte besteht nicht nur aus Heldengeschichten. Die jeweiligen historischen Akteure mit ihren unterschiedlichen und nicht selten gegensätzlichen sozialen und politischen Interessen hinterlassen ihre Spuren in den Ereignissen. Sie reflektieren die Ereignisse im Rückblick auch unterschiedlich. Das ist normal. Widerspruchsfreie Geschichte ist nicht zu haben.
Das Gesellschaftssystem der Sowjetunion unter Stalin war, wie wir wissen, von Repressionen gekennzeichnet. Zugleich hat die Armee und die Bevölkerung dieses Landes die Hauptlast des Kampfes gegen das faschistische Deutsche Reich getragen und einen entscheidenden Beitrag zur Befreiung Europas geleistet. Auch das deutsche Volk, damals in der Mehrheit sicher noch unfreiwillig, wurde befreit von einer schmachvollen Zukunft als Herrenmenschen und Sklavenhalter Europas. Übrigens fiel der Schatten der Verdächtigung, mit vermeintlichen Volksfeinden, die seine Vorgesetzten und Förderer waren, paktiert zu haben, ebenfalls auf Bersarin als er in der Fernostarmee diente. Er musste sich daraufhin rechtfertigen. Die Erinnerung an Nikolai Bersarin an diesem Ort hat eine lange Vorgeschichte und ist verbunden mit den Diskussionen um seine Ehrenbürgerschaft. Ich erinnere mich noch gut an ein Schreiben der Interessengemeinschaft Bersarin im Jahre 2004. Damals war ich Vorsitzender des Kulturausschusses in diesem Bezirk und wurde um Unterstützung gebeten. Viele Initiativen und Persönlichkeiten haben dafür gesorgt, dass die Erinnerung an Nikolai Bersarin wachgehalten wird. Wir fügen mit der Erinnerungstafel heute einen weiteren Baustein hinzu. Mein Dank gilt den Fachkollegen, u.a. Dr. Peter Jahn und Dr. Lutz Prieß, die mit ihren Forschungen die wiederholt kolportierten Verdächtigungen gegen Bersarin aufgeklärt und widerlegt haben, und der Mehrheit der Bezirksverordneten sowie dem Bezirksamt, die die heutige Würdigung möglich machten. Kommentare sind geschlossen.
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