Irmtraud Gutschke, 2019.Dr. Irmtraud Gutschke, Jahrgang 1950, war 47 Jahre lang Literaturredakteurin in der Zeitung „Neues Deutschland“ und arbeitet jetzt als freiberufliche Autorin und Literaturkritikerin. Sie veröffentlichte mehrere Bücher, jüngst den Essayband „Das Versprechen der Kraniche. Reisen in Aitmatows Welt“.
Wie würde die Welt heute aussehen, wenn der Hitlerfaschismus nicht besiegt worden wäre? Die Hauptlast trug die Sowjetunion. In den Tiefen dieses riesigen Landes wurde über die Zukunft Europas, der Welt entschieden. Ich bin eine „Nachgeborene“, in einen Staat hineingewachsen, in dem die Freundschaft zur Sowjetunion politisches Gebot war und für mich bald Herzenssache. Ich lernte die russische Sprache, hatte einen Brieffreund, Boris, wo, weiß ich nicht mehr. Er schickte mir sein rotes Halstuch, ich ihm mein blaues. Sein Land habe ich erst viel später kennengelernt. Vielleicht ist es wirklich so, dass uns Ostdeutschen Russland näher ist als den Westdeutschen. Weil wir schon die Sowjetunion kannten – kein Märchenland, bei genauem Hinsehen, aber immer von einer großen Utopie überstrahlt. Der Traum von einer gerechten Gesellschaft – nicht sofort würde er erreichbar sein, doch wir würden ihm immer näherkommen. Der Zerfall der Sowjetunion war eine Tragödie, das hört man immer wieder, wenn man in einzelnen früheren Sowjetrepubliken unterwegs ist. Aber meist wird noch ein Satz hinzugefügt: „Alles kann man ertragen, Hauptsache es gibt keinen Krieg.“ Mit seinen Worten von einem gemeinsamen europäischen Haus fand Gorbatschow Beifall im Westen, doch hatte man wohl schon ganz andere Pläne. Fast scheint es heute, als befänden wir uns in einem neuen Kalten Krieg. Zwischen geopolitischen Fronten, was können wir tun? Uns nicht ducken, uns einmischen im Sinne von Friedenspolitik. Russland gehört zu Europa. Wir brauchen eine gemeinsame Sicherheitsordnung von Vancouver bis Wladiwostok, wirtschaftliche Zusammenarbeit eingeschlossen.
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