Generalmajor a. D. Sebald Daum, 2019Sebald Daum, Jahrgang 1934, langjähriger Angehöriger der NVA, Generalmajor, Stellvertreter des Chefs des Militärbezirks Leipzig und Chef der Ausbildung. Mitglied im „Verband zur Pflege der Traditionen der NVA und der Grenztruppen der DDR“ und Sprecher des Ältestenrates des Verbandes. Der 8. Mai 1945, der Tag der Befreiung des deutschen Volkes vom Hitlerfaschismus, ist für mich ein besonderes Datum. Der Krieg war zu Ende und damit auch die Flucht vor dem Krieg. Es begann für meine Familie und mich ein neues Leben ohne Krieg. Als Sechsjähriger wurde ich, in Folge des Krieges Hitlerdeutschlands gegen Polen, mit der Familie aus meiner Geburtsheimat Galizien ausgesiedelt und in Polen mit den Eltern auf einem Bauernhof, der einem polnischen Bauern gehört hatte, neu angesiedelt. Das war großes Unrecht. Ein zweites Mal erlebte ich die Auswirkungen des Krieges im Januar 1945, wo ich als Elfjähriger mit der Mutter und meinen vier jüngeren Geschwistern auf der Flucht vor der herannahenden Front war. Das waren nicht nur für mich schreckliche bleibende Ereignisse. Der Vater war im Krieg und lag verwundet in einem Lazarett. Angesiedelt in einem Dorf im Mansfelder Land, waren wir wieder Fremde. Von den wenigen Wochen, in denen ich dann noch zur Schule ging, habe ich nur das Üben für den Krieg in Erinnerung und nach dem Einrücken der amerikanischen Truppen im April 1945 eine wilde Zeit ohne Schule. Nach dem Abzug der Amerikaner aus unserem Dorf im Juni 1945, normalisierte sich das Leben langsam wieder für uns. Ich beendete die Schule mit der 9. Klasse, erlernte einen Beruf, begann ein Lehrerstudium und meldete mich dann freiwillig zur Kasernierten Volkspolizei. Obwohl das nicht so geplant war, habe ich dann doch 38 Jahre in den Bewaffneten Kräften der DDR gedient, sicher auch aus der Einsicht heraus, nie wieder das zu erleben, was ich als Kind erlebt hatte und um dies auch meinen Kindern später zu ersparen. Ich begriff, dass dazu auch eine Politik im Staate notwendig ist, die dafür Sorge trägt, dass Friede ist. Dass eine Regierung nötig ist, die nicht für einen neuen Krieg rüstet, das Volk nicht auf einen Krieg vorbereitet, sondern mit seinen Nachbarn in Frieden leben will. Das wollte ich auch, und deshalb bejahte ich die Friedenspolitik der DDR und diente in ihrer Armee für die Sicherung des Friedens. Von Anfang an kam ich damit auch mit den Soldaten der Sowjetarmee in Kontakt, es wurden meine Freunde und Waffenbrüder, die mir uneigennützig halfen, meinen Beruf als Offizier noch besser auszuüben. Daraus entstanden Freundschaften, die bis heute Bestand haben. sonders beim Studium an einer Akademie der Sowjetischen Streitkräfte in Moskau habe ich das erfahren. Es waren nicht nur meine Lehrer, die uns ihre großen Erfahrungen übermittelten und mit viel Geduld uns ausbildeten, sondern auch die sowjetischen Offiziere mit denen wir gemeinsam studierten und mit ihren Familien zusammenlebten. Sie halfen uns, uns schneller in den neuen Lebensverhältnissen zurecht zu finden. Es waren echte Freunde. Für mich und meine Familie war das insbesondere die Familie Leonid und Swetlana Kljutschnikow, die uns vom ersten Tag in Moskau an zur Seite stand. Wir lebten zu Beginn als Nachbarn Tür an Tür, kamen uns aber familiär näher. Leonid und ich studierten an der gleichen Akademie, und an den Wochenenden zeigten sie uns Moskau und die Umgebung, besuchten wir gemeinsam die Theater und Museen und erlebten die Sehenswürdigkeiten der Weltstadt Moskau. Nach Beendigung meines Studiums blieben wir weiter in Kontakt, was nicht immer einfach war. Umso größer war dann die Freude, als Lonja in die Gruppe der sowjetischen Streitkräfte in Deutschland (GSSD) versetzt wurde und sich unsere Familien wieder trafen. Nun konnten wir ihnen helfen, sich schneller in der DDR zurecht zu finden, und auch einiges gemeinsam erleben, auch wenn das nicht immer einfach war. Nach dem Ende der DDR und der Sowjetunion, wurden unsere Kontakte wieder intensiver und wir konnten uns nun gegenseitig mehr besuchen. So lernten wir auch die Stadt Minsk, die Hauptstadt der Belorussischen Republik kennen, wo Sweta und Lonja nun wohnten. Die beiden Söhne dienten in der russischen Armee in Moskau. An dieser Familie zeigen sich auch die Tragik und Komik, die durch die Veränderungen nach dem Ende der Sowjetunion eingetreten waren. Die Familie lebte nun in zwei unterschiedlichen Republiken, die Eltern in Belorussland und die Söhne als Offiziere der russischen Armee in Moskau. Für die Familie Kljutschnikow, aber auch für uns trat in dieser Zeit ein Ereignis ein, das tragischer und schmerzlicher nicht sein konnte. Leonid war als Mitglied im Vorstand des Bundes der Russischen Offiziere am 4. Oktober 1993 in Moskau im Parlamentsgebäude, als Jelzin mit Panzern das Gebäude beschießen ließ. Unter den vielen Toten war auch Oberst Leonid Kljutschnikow. Swetlana Kljutschnikowa verlor ihren Mann, die Söhne verloren ihren Vater und wir unseren lieben guten Freund Lonja. Für uns alle unfassbar. Unter meinen vielen russischen Freunden möchte ich noch eine Familie hervorheben, der wir eben so herzlich verbunden waren und noch sind. Das waren der militärische Berater Boris Plotnikow und seine Frau Swetlana, mit denen wir gemeinsam in einem Haus in Leipzig mehrere Jahre wohnten. Auch hier waren unsere Beziehungen nicht nur dienstlicher Art. Wir nutzten die karge Freizeit um ihnen die DDR näher zu bringen und mit Bürgern in Kontakt zu kommen. Nach dem Ende der DDR zogen sie nach Moskau, wo wir sie dann besuchen konnten. Auch bei ihnen erfuhren wir wieder die große Herzlichkeit der russischen Menschen. Die vielen persönlichen Erlebnisse mit den russischen Menschen zeigten uns immer wieder, wie tief sie den Krieg hassen, wie sie für den Frieden einstehen und alles tun, diesen zu erhalten. Sie haben millionenfach Tod, Not und Elend im Kriege erlebt, und sie hätten allen Grund, gerade uns Deutsche zu hassen. Das Gegenteil haben wir erfahren. Insbesondere spürte ich das, als wir mit der Studiengruppe in Wolgograd, dem ehemaligen Stalingrad, waren und die Stätten der Erinnerung an die opferreiche und für die Rote Armee siegreiche Schlacht an der Wolga besichtigten. Man hat uns überall als Freunde begrüßt. Nein, der Russe will keinen Krieg. Er will Frieden und Freundschaft, gerade, oder vor allem, mit uns Deutschen. Und das will ja der überwiegende Teil der Bürger der BRD heute auch. Umso gefährlicher ist wieder das Kriegsgeschrei, das Schüren von Hass gegen Russland und seinen Präsidenten, die Bedrohung Russlands mit unfreundlichen Aktionen wie Sanktionen, militärischen Aufmärschen an den Grenzen zu Russland, auch durch Deutschland mit der Bundeswehr. Ist es denn so schwer für Politiker zu begreifen, dass solches Tun jeden Russen an den 22. Juni 1941 erinnern muss, ein Datum, das jeder russische Bürger verinnerlicht hat als einen Tag, der sich nie wiederholen darf? Deshalb ist der 8. Mai als Tag der Befreiung des deutschen Volkes vom Hitlerfaschismus der Tag, an dem wir besonders zum Ausdruck bringen: Wir wollen keinen Krieg, sondern wollen, besonders mit dem russischen Volk, in Frieden leben, miteinander Handel treiben, miteinander reden, gemeinsam für Frieden und Völkerverständigung eintreten, gegen jede feindliche Aktion gegen das russische Volk.
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