Siegfried Eichner, 2019 Siegfried Eichner, Jahrgang 1954, von 1973 bis 1990 Offizier der Nationalen Volksarmee und Militärdiplomat, 1993 bis 2005 Geschäftsführer einer Wohlfahrtsorganisation, 2007 bis 2013 Unternehmensberater mit Schwerpunkt Russland, ab 2018 Rentner
In Peking begann ein schöner frühsommerlicher Morgen. Der Tag verhieß phantastisch zu werden. Fast schon ein halbes Jahr arbeitete ich als Gehilfe des Militärattachés der NVA in Peking. Eingereist war ich mit meiner Familie, das heißt mit meiner Frau und meinem sechsjährigen Sohn am 2. Dezember 1982. Den ersten Winter in Peking hatten wir hinter uns gebracht. War an sich schon ein Erlebnis, so ein Winter in Peking. Fröste bis -25 °C, mal strahlend blauer Himmel, mal Staubstürme aus der Gobi. Da bietet doch der Mai viel angenehmeres Wetter. Traditionell organisierte der Militärattaché der Tschechoslowakischen Volksarmee am 8. Mai ein Volleyballturnier in seiner Botschaft, so auch 1983. Am Turnier nahmen Mannschaften der Botschaften der Staaten des Warschauer Vertrages, der anderen sozialistischen und befreundeten Länder teil. Anders als zum jährlichen Fußball-Turnier anläßlich der Gründung der Aeroflot Ende Februar auf dem Gelände der sowjetischen Botschaft mit seinen üblichen Temperaturen um die -20 °C bot das Volleyball-Turnier willkommene Gelegenheit für das Diplomatische Corps zu völlig zwanglosen Begegnungen. Wobei hervorzuheben ist, dass es auf dem Spielfeld nicht so zwanglos zuging. Obwohl ja nur um die Ehre gespielt wurde, gekämpft wurde mit vollem Einsatz. Im Unterschied zum Fußball-Turnier, bei dem mein Einsatz schon aufgrund meines damals noch sehr jugendlichen Alters sehr gefragt war, gab es für die Volleyball-Mannschaft unserer Botschaft ausreichend Mitspieler auch aus den etwas älteren Semestern, und Volleyball war nicht unbedingt meine Leidenschaft. Somit konnte ich mich meiner Familie widmen, die in der Vergangenheit mitunter etwas zu kurz gekommen war. Vorfreunde auf tschechisches Bier und die Versorgung vom Grillstand sorgen ebenfalls für gehobene Stimmung. Verabredet hatte ich mich für diesen Tag mit meinem sowjetischen Partner und Freund Juri und dessen Familie. Juri war mit seiner Familie einen Monat nach uns eingereist. Folglich stand er bei all den protokollarischen Veranstaltungen des Militärattaché-Corps neben bzw. hinter mir. Außerdem hatte er einen fünfjährigen Sohn. Soetwas verbindet ungemein. Der Vormittag verging indem wir mehr oder weniger interessiert den Vorrundenspielen folgten, die Frauen tauschten sich zu den Problemen aus, die so ein Leben fern der Heimat mit sich bringt, und die beiden Jungs tobten auf dem Spielplatz. Gegen Mittag erkundigte sich Juri, ob ich das Pekinger Bambusgarten-Restaurant kennen würde. Ich entgegnete darauf, dass man ja nach knapp einem halben Jahr unmöglich alle Pekinger Restaurant kennen könne. Worauf Juri erklärte, dass das Bambusgarten –Restaurant eine besondere Geschichte hätte und er mit uns, falls wir nichts besseres geplant hätten, hinfahren würde. Gesagt getan. Schon die Fahrt an sich war interessant. Es ging mitten hinein in die Pekinger Altstadt, jenes Gewirr aus kleinen Gassen und Straßen, die sich um die „Huntons“, den traditionellen Wohnhöfen der einst reichen Mandarine und Händler, gebildet hatten. Das Restaurant bestand aus mehreren unterschiedlich großen Pavillons und Lauben, in denen die Gäste Platz nehmen konnten. Traditionelle chinesische Gartenkunst hatte ringherum ein kleines Paradies entstehen lassen. Neben dem Gärtner verstanden auch die Köche ihr Handwerk, den das Mittagessen schmeckte vorzüglich, sogar unser Sohn langte ordentlich mit zu, nachdem er in den ersten Wochen unseres Aufenthaltes in Peking bei Gaststättenbesuchen lediglich Reis „pur“ aß. Amüsiert stellten meine Frau und ich fest, dass unsere sowjetischen Freunde, ebenso wie auch wir DDR-Bürger, die phantasievollen Namen der verschiedenen Speisen nicht wörtlich übersetzten. Es gab eine Bezeichnung, die auf wichtigsten Zutaten oder Eigenschaften hinwies, also: Fleischbällchen süß-sauer oder Rindfleisch mit Zwiebeln. Das von uns DDR-Bürgern „Erdnussfleisch“ genannte chinesische Gericht hieß bei meinen sowjetischen Freunden „ostroij“. Und dieses Gericht war „ostroij“, chillischarf. Außer dem vorzüglichen Essen gab es noch die versprochene Geschichte um die Geschichte des Bambusgarten-Restaurants. Juri verglich es mit dem Berliner Adlon-Hotel zur Kaiserzeit und zwischen den Weltkriegen. Hier wie dort soll sich der Geheimdienst häuslich eingerichtet haben. Einseitige, das heißt von der Rückseite her durchsichtige Spiegel, „Venus-Fallen“, Alkohol und charakterliche Schwächen sollen zu manch geheimdienstlichen und diplomatischen Ränkespiel Anlass gegeben haben. Ob es seinerzeit immer noch so war blieb unerforscht. Wir hatten ja unsere Familien dabei und wollten eh nur Mittagessen. Zurück in der tschechoslowakischen Botschaft trafen wir pünktlich zum Finalspiel wieder ein. Gewonnen hat die Mannschaft Kubas, die, so wurde uns berichtet, fast schon ein Abonnement auf den 1. Platz in diesem Turnier habe. Da die Zeit noch nicht allzu weit fortgeschritten war lud ich Juri mit seiner Familie noch kurz zu mir ein. Wir werteten den Tag bei Radeberger Pilsner, Halberstädter Würstchen und Thüringer Bratwurst (geliefert von Versina) aus, die von meinen sowjetischen Freunden hoch geschätzt wurden und sich infolge dessen zu guten Tauschobjekten gegen Butter und Schnittkäse aus dem sowjetischen Botschafts-Magazin entwickelten. Highlight des Abends war aber die Spielzeugeisenbahn, die wir unserem Sohn von zu Hause mitgebracht und im begehbaren Wandschrank in dessen Zimmer aufgebaut hatten. Es war einfach toll für uns Eltern zu beobachten, wie zwei gleichaltrige Jungs, von denen keiner die Sprache des anderen sprach, miteinander spielten. Dieser 8. Mai 1983 war nicht nur ein wunderschöner Tag. Er blieb mir in sehr guter Erinnerung, weil er mit seinen unterschiedlichen Erlebnissen fern ab protokollarischer Zwänge eine enge Freundschaft zwischen unseren beiden Familien entstehen ließ.
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