Hans-J. Kaufmann, 2020Hans-J. Kaufmann, Jahrgang 1938, schloss 1962 die Seefahrtschule Wustrow ab. Er fuhr als Funkoffizier für die Fischkombinate Rostock und Sassnitz zur See. Heute ist er Rentner und lebt in Rostock.
Ich fuhr Ende der 1960er Jahre auf dem Sassnitzer Kühl- und Transportschiff (KTS) „Stubnitz“ als Funkoffizier. Im Rahmen der Fischereitätigkeit übergaben wir öfter Ladungen an sowjetische Kühlschiffe zum Transport in die Heimat, damit unsere Produktionseinheiten länger auf hoher See arbeiten konnten. Traditionell besuchten wir dann unsere sowjetischen Kollegen zum „Kaffeeklatsch“, wobei aus bestimmten Gründen, deren Erklärung hier zu weit führen würde, Arbeitsteilung herrschte: Der Kollege lieferte das heiße Wasser und wir im Allgemeinen den Kaffee und die dazu gehörige „Verdünnung'“- unter Fachleuten auch als Kognak oder Nordhäuser Doppelkorn bekannt. Als ich eines Tages den Kollegen auf dem Kühlschiff „Walentin Serow“ besuchte, klopfte es an der Funkraumtür und auf unser COME IN erschien das Urbild eines russischen Bootsmannes: 1,90 m groß, Schnurbart, gestreifter Seemannspullover und auf beiden Unterarmen ein tätowierter Anker. Nach kurzer Unterhaltung fiel mir sein stark geschwollenes Gesicht auf. Auf meine diesbezügliche Frage kam die Antwort: SUB BOLIT (Der Zahn tut weh). Die an Bord des sowjetischen Kühlschiffes befindliche Ärztin war Internistin und lehnte Zahnbehandlungen strikt ab. Im Gegensatz dazu war der auf der „Stubnitz“ fahrende Arzthelfer Franz M. ein begeisterter Zahnarzt im Nebenberuf. Vor der endgültigen Grenzziehung am 13. August 1961 wurden durch die BRD – direkt und indirekt - Ärzte aus der DDR in solchen Größenordnungen abgeworben, dass, um diese Verluste einigermaßen auszugleichen, an den Medizinischen Hochschulen der DDR in 1-Jahres-Lehrgängen sogenannte Arzthelfer ausgebildet werden mussten. Wir gingen also zu unserem Arzthelfer und der machte sich an die Arbeit. Er entschuldigte sich beim Bootsmann, dass wegen der vereiterten Zahnwurzel die Betäubung nicht richtig wirken würde, und wartete nach der Spritze ca. 10 Minuten. Ein Ruck und der Backenzahn war draußen. Überglücklich betastete der Bootsmann sein Gesicht und konnte kaum glauben, dass er den Quälgeist fast schmerzlos losgeworden war. Nur wer einmal in der damaligen Sowjetunion bei einem profanen Zahnarzt war, weiß, was ich meine. Der Bootsmann kletterte wieder an Bord seines Schiffes - mit dem Ergebnis: innerhalb von 10 Minuten standen weitere fünf Besatzungsmitglieder der „Walentin Serow“ vor der Ambulanz unseres Doktors. Auch ihnen wurde zu vollster Zufriedenheit geholfen. Ich bin auf den KTS „Stubnitz“ und „Granitz“ mit den Herrn Hasso R., Helmut T. und Franz M. gefahren, denen von den Besatzungen, den Hafenärzten und manchmal sogar international höchste Anerkennung für ihre medizinische Arbeit ausgesprochen wurde. Übrigens: Auch Seeleute von BRD-Trawlern wurden durch sie behandelt.
1 Kommentar
12/6/2020 12:23:27
Hallo Herr Kaufmann,
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