Herbert Voß, 2017 Herbert Voß (1929 - 2018) war Eisenbahner und wohnte in Güstrow. Der mündliche Bericht wurde von Hartmut Winterfeldt aufgezeichnet. Im Mai 1945 war ich in englischer Kriegsgefangenschaft, ohne an Kampfhandlungen teilgenommen zu haben. Ich bin Jahrgang 1929 und stamme aus Wendisch Priborn. Nach der Schule begann ich eine Ausbildung zum Eisenbahner. Bevor ich meinen Facharbeiter bekam, ich konnte nur zwei Jahre lernen, denn 1944 wurde ich nach Bützow zum Reichsarbeitsdienst gezogen. Irgendwann im April kam der Befehl zum Abrücken. In der ersten Nacht marschierten wir bis Grevesmühlen, dann in kleineren Etappen bis Eutin. Wir saßen vor einem Gutshaus an einem Rondell als plötzlich englische Panzerspähwagen auftauchten und uns umrundeten. Nun waren wir Kriegsgefangene und kamen ins Lager. Ich war noch keine 18 und daher konnten die Engländer mich nicht einfach entlassen. Kontakt nach Wendisch Priborn bestand nicht, also suchte ich mir einen „Vormund“ unter den älteren Gefangenen. Dieser stammte aus der Gegend um Magdeburg, und so kam ich zunächst zu einem Bauern im Anhaltinischen. Dort war damals noch „der Amerikaner“. Nachdem die Rote Armee im Sommer 1945 vereinbarungsgemäß das Gebiet eingenommen hatte, konnte ich endlich nach Hause. Ich fuhr mit einem Kameraden in einem der völlig überfüllten Züge zunächst nach Berlin und dann nach Güstrow. Bis Neustrelitz lagen wir auf dem Dach eines Waggons. Ich begann wieder bei der Reichsbahn, zuerst als Hilfsarbeiter auf dem Bahnhof Ganzlin. Dann holte man mich nach Güstrow in den Zugbegleitdienst. Dort war ich nicht einmal ein Jahr angestellt, als ich zur Personalabteilung gerufen wurde. Ich sollte zum Verschiebebahnhof nach Wustermark bei Berlin versetzt werden. Als Zugführer. Dort wurden Gruppen zusammengestellt, die aus einer Lok, drei Lokführern, drei Heizern, zwei Schaffnern und zwei Zugführern bestanden. Wir waren praktisch autonom, im Mannschaftswagen waren Koch- und Schlafmöglichkeiten und wir bekamen Sonderverpflegung. Die Verpflegung war so gut und reichlich, dass wir in Berlin auf dem Schwarzmarkt noch etwas davon verscheuern konnten. Das war anders als in Güstrow, wo ich oft hungerte, weil die Marken nicht lange reichten. Diese Lokbesatzungen hatten spezielle Aufträge. Die Leitung oblag der Reichsbahn. Für den Einsatz wurden wir angefordert, meist ging es zum Grenzbahnhof Frankfurt/Oder. Die Züge kamen von irgendwo aus Ostdeutschland dorthin, wir spannten uns davor und die Reise begann. Wir fuhren in der Regel sechs Stunden, Lokführer und Heizer wurden schon nach vier Stunden ausgetauscht. Die Wartung der Lok war aufwändig, sie geschah häufig in Posen, (Poznan) auch in Warschau. Dazu ging es für mehrere Stunden in den technischen Bereich des Bahnhofs, Kohle bunkern, Wasser tanken, entschlacken, schmieren usw. Bei diesen längeren Pausen wurde der Zug sofort von einem anderen „Lokkommando“ übernommen. Das sowjetische Wach- und Begleitkommando blieb am Zug. Die Soldaten hatten einen Mannschaftswagen am Ende des Zuges, sie hatten wohl auch die Begleitpapiere, denn wir von der Lok wussten fast nie, was wir transportierten. Am häufigsten ging es nach Brest, hier wurde umgeladen. Für die Güterwagen gab es damals noch nicht die Möglichkeit zum Achsenwechsel. Und auch der Bahnhof Brest war technisch schlecht ausgestattet, es gab zum Beispiel keine Drehscheibe für die Loks, und so mussten wir auf einem Gleisdreieck umständlich wenden. Manchmal war die direkte Strecke nach Brest überlastet. Dann wurden wir von Siedlce nach Czeremcha umgeleitet und kamen von Norden nach Brest. Es gab schon eine Schnellverbindung von Berlin nach Moskau, den „Blauen Express“. Wenn der gemeldet war, hieß es, aufs Nebengleis wechseln und warten, bis er vorbei war. Wir fuhren nicht nur nach Brest. Es gab auch Transporte, die für Leningrad (heute St. Petersburg) bestimmt waren oder für Grodno (Grodna, Weißrussland), in diesem Fällen ging es ab Warschau in nordöstlicher Richtung weiter. Und einmal fuhren wir sogar nach Königsberg (Kaliningrad), das ging über Landsberg an der Warthe (Gorzów Wielkopolski). Die Polen mochten uns nicht, aber auch zwischen Russen und Polen gab es Spannungen. In Polen fuhr auf der Lok ein polnischer Lokführer mit, sozusagen als Lotse. Zurück fuhren wir in der Regel mit leeren Zügen, einmal zogen wir auch einen Transportzug mit entlassenen deutschen Kriegsgefangenen, aber das kam in dieser Zeit noch nicht so oft vor. Manchmal hatten wir auch Blöcke mit Roheisen zu transportieren. Unterwegs sahen wir überall Zerstörungen durch den Krieg, am schlimmsten sah es in Warschau aus. Wir konnten dort nur mit einer Geschwindigkeit von 10 km/h fahren. Einmal wurde der Zug überfallen. Ein Mann sprang auf, öffnete ein Ventil und der Zug stand sofort. Die Bande stürzte sich sehr zielstrebig auf einen bestimmten Waggon und, räumten diesen aus. Dann schlossen sie das Ventil wieder und waren weg. Das russische Kommando griff nicht ein, wahrscheinlich wegen der Überzahl. Dieser Einsatz dauerte für mich knapp zwei Jahre. Ich hätte es noch länger gemacht, aber ich wurde nach Güstrow zum inländischen Zugbegleitdienst zurückversetzt.
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