Willi Lauterbach, 2020 Willi Lauterbach, Jahrgang 1935, ist Diplomlandwirt und arbeitete als Fachschullehrer. Heute ist er Rentner und lebt in Schwerin.
In meinem Heimatdorf Nitznow in Hinterpommern (heute Niczonów, Polen) wurde ich als Zehnjähriger nach einer zufälligen Begegnung zum Pferdekutscher des sowjetischen Kommandanten ernannt. Ich durfte anspannen und kutschieren, wenn er zur Kommandantur nach Treptow (heute Trzebiatów) musste. Während mein Chef Berichte oder Anliegen vortrug, reichte mir der Koch ein Kochgeschirr mit Kascha, und das tat mir nach der langen Fahrt gut. Für meine Pferde hatte ich Heu und Hafer mitgenommen. Es war übrigens Anfang Mai 1945, kurz nach dem Ende des Krieges.Unterhalten konnten wir uns zunächst wenig, denn mir war Russisch fremd und Sergej hatte nur wenige deutsche Wörter gelernt. Bald wussten wir aber etwas voneinander. Ich war Bauernsohn, meine Mutter und meinen Bruder hatte er gesehen. Mein Vater hatte als Obergefreiter zuletzt aus Griechenland geschrieben. Sergej schätzte es, dass ich die Wahrheit sagte. Er war Sohn eines Lehrers aus Rostow am Don und hatte begonnen, in Leningrad Geschichte zu studieren. Über die deutsche Geschichte wusste er mehr als ich. Unser Verhältnis war freundschaftlich, doch ich weiß auch von unschönen Nachkriegsbegegnungen, die die Deutschen aber durch den Völkermord mit verursacht hatten. Bald sollte unsere Zweisamkeit ein Ende haben. Ein älterer Rotarmist brachte mich mit einem Panjewagen nach Treptow ins Typhuskrankenhaus. Dort litt ich nach dem Typhus noch an Scharlach und Gelenkrheuma. Meine Nahrung bestand mehrere Monate lang nur aus Haferschleim. Als ich wider Erwarten gesund wurde, quälte mich ein unstillbarer Hunger. Ende 1945 war die Kost im noch immer deutschen Krankenhaus knapp. Jeden Tag schleppte ich mich etwa 500 Meter bis zur sowjetischen Kommandantur und konnte mich wenigstens einmal am Tag satt essen, obwohl der Koch nun ein anderer war und mich nicht als Kutscher kannte. Nun wird wohl jeder verstehen, was Kascha und die russische Seele mir bedeuten. Übrigens, am Haus der Kommandantur hingen damals große Porträts von Stalin, Paulus und Seydlitz. Man sollte ernsthaft über den Krieg nachdenken und aus der Geschichte lernen. Wenn ich die heutige deutsche Politik gegenüber Russland betrachte, kann ich diesen notwendigen Lernprozess nicht erkennen.
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