Peter Voigt, 2017 Peter Voigt, Jahrgang 1941, ist diplomierter Agrarwirt, Experte für Schweinezucht. Er lebt heute in Lübstorf. Der mündliche Bericht wurde von Hartmut Winterfeldt aufgezeichnet.
Wir wohnten 1945 in Schwerin im Obergeschoß des Standesamtsgebäudes am Pfaffenteich und hatten seit Kriegsende sowjetische Einquartierung. Im Jahr 1946 kam mein Vater aus der Gefangenschaft. Er war bei der Marine gewesen und hatte Angst vor den Russen. Er war zusammen mit meiner Mutter in der Stadt unterwegs, als sie in der Gaußstraße einem wohlbeleibten Mann begegneten. Man kannte einander. Nach der Bemerkung meines Vaters, dass es ihm wohl gut gehen müsse erzählte er, dass er im KZ gewesen sei. Mein Vater soll gesagt haben, dass er das angesichts seiner Leibesfülle nicht glauben könne. Er selbst wäre „im Osten“ gewesen und sei nicht so wohlgenährt. Nach einigen Tagen erhielten meine Eltern die Aufforderung, sich in Görries auf dem Fliegergelände zu melden. Daraufhin setzte sich mein Vater nach Westberlin ab. Meiner Mutter erteilten die sowjetischen Untermieter den Rat, sich wegen Arbeit bei der Kommandantur zu melden und in die SED einzutreten (sie war vor 1933 in der SPD gewesen). Sie tat das und bekam Arbeit als Klavierlehrerin. Sie arbeitete im Gebäude der SMA Mecklenburg/Vorpommern in der Schlossstraße. Das Klavier wurde von zu Hause dorthin gebracht und vermietet. Es war ein Perzina-Klavier. Ende der 1940er Jahre endete diese Arbeit, auch das Klavier kam zurück, meine Mutter fand Arbeit im Buchhandel. Ich ging zur Schule, 1959 für zwei Jahre zur NVA.1961 bis 1964 studierte ich in Güstrow-Bockhorst an der Fachschule für Landwirtschaft, später an der Uni Rostock bis zum Diplom. Nach verschiedenen anderen Tätigkeiten in der Landwirtschaft fand ich dann zu meiner Lebensaufgabe in der Schweinezucht im VEG Medewege. Wir wohnten in Lübstorf zunächst auf dem Gelände der MTS, an der Straße nach Wiligrad. Hier entstanden wieder Kontakte zu den einfachen sowjetischen Soldaten, die im Wald gegenüber kampierten. Im Jahr 1977 ging es richtig los. Wir wohnten inzwischen in einem Einfamilienhaus mit großem Grundstück und Nebengelass. Eines Tages um die Mittagszeit klingelte es. Meine Frau öffnete. Vor der Tür stand ein „Bild von einem Mann“, wie sie sich erinnerte. Ein höherer sowjetischer Offizier fragte: „Wo ist Stalin?“ „Hier wohnt kein Stalin.“ Dann beschrieb er mich. „Der kommt abends nach der Arbeit“ sagte meine Frau. Am Abend waren sie wieder da. Der Gast setzte sich an unser Klavier und spielte. Was für ein herrlicher Klang! Die Kinder saßen auf der Treppe im Flur und wir hörten alle andächtig zu. Nun kamen sie regelmäßig, manchmal mehrmals in der Woche, und wir haben im Keller gesessen, geklönt, gegessen, getrunken. Sie brachten alles Mögliche mit. Von Gebrauchsgegenständen bis zu Goldschmuck, ich habe Etliches für sie verkauft. Stationiert waren sie in der Kaserne an der Ludwigsluster Chaussee, die letzte, stadtauswärts links. Einmal brauchte ich Obstkisten. Die gab es ja hier nicht. Da fragte ich dann bei den Russen in der Kaserne, und man zeigte mir das Gemüselager. Alles in der Erde, zum Teil betoniert und einfach überdacht. Es waren auch Russen aus Kasachstan dabei. Sie erzählten: „Zuhause sehen wir immer gleich, wo Deutsche wohnen. Der Bahnhof ist sauber. Laternen brennen überall auf den Grundstücken.“
0 Kommentare
Antwort hinterlassen |
Autoren
Alle
|
BDWO e.V. © 2019