Bernd Muck, 2019 Bernd Muck, Jahrgang 1942, Diplomphysiker Halbleiterphysik. Er studierte 1962- 1967 in Leningrad und arbeitete danach im VEB Elektronische Bauelemente Teltow, später bei der Telefilter GmbH in Teltow. Er ist Vorsitzender der Brandenburgischen Freundschaftsgesellschaft e.V.
Mit meinen Verwandten aus dem Sudetengebiet ausgesiedelt, erkundete ich ab Frühjahr 1946 als Vier- und Fünfjähriger die Trampelpfade durch die mir damals riesig erscheinenden Trümmerberge in Halberstadt. In den Unterhaltungen der Erwachsenen ging es manchmal um Übergriffe sowjetischer Soldaten, requirierte Uhren oder Fahrräder. Angst vor Rotarmisten war noch verbreitet. In Wernigerode, wo ich ab 1949 meine Kindheit und Jugend verbrachte, gab es bis in die 1950-er Jahre eine kleine sowjetische Garnison. Ich erinnere mich an "Tage der offenen Tür" in der Kommandantur und an Schachspielen mit sowjetischen Soldaten sowie an einen begeisternden Auftritt eines sowjetischen Ensembles auf einer großen Freilichtbühne an einem Berghang. Wie die meisten meiner Mitschüler trat ich bereits in der Grundschule in die Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft (DSF) ein. Im Pionierhaus nahm ich einmal an einem Treffen mit Gästen aus der Sowjetunion teil, woraus sich ein mehrjähriger, für mich noch sehr mühseliger Briefwechsel auf Russisch entwickelte. Zum Ende der 11. Klasse erhielt ich die Gelegenheit, mich mit dem Ziel eines späteren Studiums im sozialistischen Ausland für eine Abiturklasse an der Arbeiter- und Bauernfakultät in Halle zu bewerben. Praktisch war das ein Vorbereitungsjahr auf ein Auslandsstudium mit verstärktem Unterricht in Fremdsprachen sowie Fächern der künftigen Studienrichtung. Vor dem Studium stand dann allerdings noch ein Jahr "Bewährung in der sozialistischen Produktion", für mich – als Abstichmann an einem Karbidofen im Buna-Werk Schkopau. Während des Studiums ab September 1962 in Leningrad war uns Studenten aus der DDR sehr wohl bewusst, wie schrecklich diese Stadt unter der 900-tägigen Belagerung durch die Wehrmacht gelitten hatte, dass es möglicherweise deshalb Anfeindungen gegenüber uns Deutschen geben könnte. Doch weder ich selbst noch, soweit mir bekannt ist, andere DDR-Bürger haben derartiges erlebt. Im Gegenteil, wenn z. B. Russen in der Öffentlichkeit mitbekamen, dass wir aus der DDR waren und in ihrer Stadt studierten, brachten sie darüber ihre Genugtuung zum Ausdruck. An der Hochschule, im Wohnheim und in anderen Einrichtungen wurden wir stets freundlich zuvorkommend behandelt. Aufgrund dieser positiven Erlebnisse und der erworbenen Sprachkenntnisse engagierte ich mich während meiner beruflichen Tätigkeit als Entwicklungsingenieur im VEB Elektronische Bauelemente Teltow in der DSF-Grundorganisation dieses Großbetriebes, der in den 1970- und 1980-er Jahren Partnerschaften mit mehreren Einheiten der Sowjetarmee in Potsdam, Stahnsdorf und Teltow einging. Mehrmals jährlich fuhr ich mit Vertretern der Betriebsleitung zu Absprachen über gemeinsame Kultur- oder Sportveranstaltungen, aber auch mit Hilfsersuchen in die sowjetischen Garnisonen. Dort wurden wir stets unverzüglich vom Kommandeur oder dessen Stellvertreter freundlich empfangen und trafen auf weitgehendes Entgegenkommen. Als das Kleinmachnower Freibad, eines der schönsten in der DDR, 1973-76 erbaut wurde, half auch eine Feierabendbrigade aus Zivilangestellten der Teltower Garnison. Bei Materialengpässen sprang mehrfach das zentrale Materiallager der Sowjetarmee in Teltow ein. Über 90 Prozent unserer Betriebsangehörigen waren Mitglied der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft. Auch wenn sich nur ein kleinerer Teil aktiv betätigte, so war der Freundschaftsgedanke doch allgemeiner Konsens. Mindestens einmal jährlich trat im großen Speisesaal auf beliebten Abendveranstaltungen ein sowjetisches Ensemble vor der Belegschaft unseres Betriebes und deren Angehörigen auf. Außer diesen Großveranstaltungen gab es auch Treffen im kleineren Kreis, z. B. bei Angel- und Kegelwettbewerben. Das freundschaftliche Zusammengehörigkeitsgefühl habe ich auch in der wissenschaftlich-technischen Zusammenarbeit mit Elektronikbetrieben und wissenschaftlichen Einrichtungen in Russland, Belarus, der Ukraine, Tschechien und Polen sowie im Rahmen des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) erleben dürfen. Leider wurden die zum Teil zu hoch gesteckten, vereinbarten Ziele nicht alle erreicht, was dann gegebenenfalls zu Plankorrekturen führte. Auf RGW-Spezialistenberatungen und -Sektionstagungen, an denen ich mehrmals teilnehmen durfte, einigte man sich häufig auf den kleinsten gemeinsamen Nenner, was häufig nicht zur gewünschten Beschleunigung der gemeinsamen Projekte führte. In der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft wurden auf dem "Schweriner Kongress" (27.01.1990) die Weichen zur Überleitung der Freundschaftsgesellschaft in neu zu gründende eingetragene Vereine auf Landesebene gestellt. Schon im November 1990 konnte nach gründlicher Vorbereitung an der Basis die Brandenburgische Freundschaftsgesellschaft e. V. gegründet werden, in der ich von Beginn an in leitender Funktion mitwirke. Bis 1994 war es uns wichtig, mit vielfältigen Aktionen für die Sowjetsoldaten einen "Abzug in Würde" mitzugestalten. In meinem Betrieb, der Telefilter GmbH in Teltow, hatte ich z. B. im Juli 1991 den Besuch einer Gruppe sowjetischer Soldaten und Offiziere organisiert. Nach Betriebsbesichtigung und lebhaftem Rundtischgespräch mit kleinem Imbiss sagte der Technologe Peter R. an die sowjetischen Gäste gerichtet ungewollt als Schlusswort: “Das Schlimmste, was uns passieren könnte, wäre, wenn Ihr in den nächsten Jahren in Eure Heimat zurückkehrt und keinen guten Eindruck von Deutschland und unseren Menschen mitnehmen könntet, wenn wir die verbleibenden Gelegenheiten zur Verständigung und Annäherung verpassen.“ Offenbar ist das mit dem "guten Eindruck" nicht nur in den 90-er Jahren gelungen. Häufig treffen Deutsche in Russland auf ehemalige Militärangehörige, die in der DDR gedient haben (es waren insgesamt ca. 8,3 Millionen!), hier positive Eindrücke gewonnen haben und gute Beziehungen zwischen unseren Ländern wollen. 11 Jahre organisierten wir in den Sommermonaten einen Kinderferienaustausch mit Partnern in Minsk. Zunehmend gewann die Sorge um sowjetische Kriegsgräber und Ehrenmale an Bedeutung. Ein Arbeitskreis bearbeitet, teils mit aufwendigen Recherchen, Suchanfragen nach Gräbern gefallener Sowjetsoldaten sowie in Deutschland umgekommener Kriegsgefangener und Zwangsarbeiter. Ein besonderes Anliegen unseres Vereins ist die jährliche Gestaltung würdiger Kranzniederlegungen zum Tag der Befreiung an den örtlichen Ehrenmalen. Natürlich wird der 75. Jahrestag der Befreiung im Jahr 2020 ein besonderer Höhepunkt sein. Wie in den Vorjahren erwarten wir dazu auch Vertreter des Veteranenverbands der Gruppe der sowjetischen Streitkräfte in Deutschland/Westgruppe der Truppen, mit dem uns seit 2015 freundschaftliche Kontakte verbinden. Auch meine persönlichen Verbindungen zu Freunden und guten Bekannten in der ehemaligen Sowjetunion sind weiter lebendig. Um so mehr bedaure ich, dass führende Politiker unseres Landes sich nicht wirklich um einen Abbau der Spannungen im Verhältnis zu Russland bemühen und die Wirtschaftssanktionen gegen Russland aufrecht erhalten. Gerade angesichts vieler internationaler Konflikte in der gegenwärtigen multipolaren Welt brauchen Deutschland und die gesamte EU die Verständigung und eine faire Partnerschaft mit Russland. Dafür will auch ich mich weiterhin einsetzen. Die Geschichte lehrt uns, dass es Deutschland und Russland immer dann gut ging, wenn beide Länder freundschaftlich zusammenstanden.
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