Helmut Braunschweig, 2019 Helmut Braunschweig, Jahrgang 1933, Diplomchemiker, arbeitete viele Jahre im Chemiefaserkombinat Premnitz und lebt heute als Rentner in der Schorfheide.
Begegnungen in jener Zeit waren eine „Akademie des Lebens“, weil sie nicht nur schlechthin Menschen zusammenführten, sondern weil diese zugleich auch Gleichgesinnte waren, Menschen aus vielen sozialistisch orientierten Ländern, die erfolgreich zusammenarbeiteten. Wohl auch deshalb, weil die Sprache unter „echten Freunden“ viel zum Verständnis der Menschen untereinander beigetragen hat. Meine berufliche Entwicklung brachte es mit sich, dass ich mehrmals in unserem Schwesterbetrieb „MKSW“ namens „W. I. Lenin“ in Mogiljow, einer großen Stadt mit über 300 Tausend Einwohnern im Osten Belorusslands, weilte. Ein Arbeitsbesuch der Betriebsleitung des Chemiefaserwerks „Friedrich Engels“ in Premnitz im Jahr 1977 hat sich mir besonders eingeprägt. Beide Betriebe waren seit 1968 durch gemeinsame wissenschaftlich-technische Entwicklungsarbeiten auf dem Gebiet der Polyesterfasern (in der DDR unter „Grisuten“ bekannt, in der Sowjetunion unter „Lawsan“) verbunden. Einladender war 1977 Pavel Nikolajewitsch Sernow, der Generaldirektor des Mogiljower Kombinats. Aus Anlass der Inbetriebnahme einer neuen Produktionslinie mit der Kapazität von 50 000 Tonnen „LAWSAN“-Fasern pro Jahr, lud er uns am Jahrestag des Sieges ein. Das war einigermaßen plausibel, aber von unserer Seite nicht so erwartet. Bei einem Meeting im großen Saal der Gewerkschaften für etwa 1000 Belegschaftsangehörige wurden die Bauleute, Techniker, Facharbeiter und Leiter, die die Anlage in einer Rekordzeit von 2 Jahren als Komsomolobjekt aufgebaut hatten, geehrt. Festredner war Pavel Nikolajewitsch, so wurde er von allen nur genannt. Wir Premnitzer saßen mitten im Publikum. Die Zeit von unserer Ankunft bis zum Meeting war für eine spezielle Vorbereitung einfach zu kurz gewesen. Und so kam, was kommen musste: Als Pavel N. nach seiner Rede und diversen Auszeichnungen verdienter Mitarbeiter des Kombinats unseren Betriebsdirektor, Hermann Danz, zu einem Grußwort an die Mogiljower Belegschaft bat, mussten wir improvisieren, denn Ausreden waren an dieser Stelle unpassend. Herrmann schraubte sich hoch, tippte mir auf die Schulter: „Jetzt müssen wir beide arbeiten.“ Nach ein paar deutschen Sätzen und meiner Übersetzung in den mucksmäuschenstillen Saal hinein übergab mir Hermann das Mikro: „Den Rest weißt Du alleine.“ Hermann und ich waren in der Tat schon ein gut eingespieltes Team. Nach einigen Bemerkungen beendete ich unser Grußwort mit dem Hinweis auf den gemeinsamen Erfolg unserer Entwicklungsarbeit und mit den bekannten Worten: Drushba-Freundschaft! Da erhoben sich Tausend Leute von ihren Plätzen und sangen unter Beifall im großen Chor das zu jener Zeit bekannte Lied der Freundschaft mit dem gleichlautenden Refrain „Drushba-Freundschaft“. Das Meeting war, wie der Produktionsstart, damit ebenfalls erfolgreich beendet. Es war also wieder ein Tag des Sieges, dieser 9. Mai 1977. Beim folgenden Abendessen für geladene Gäste beim Generaldirektor war mein Platz zwischen den beiden Betriebsleitern. Pavel Nikolajewitsch sagte zu mir: „Helmut, so etwas wie heute habe ich noch nicht erlebt. Wenn Du mal einen besonderen Wunsch hast, dann komm zu mir!“ Wir hatten mehrfach Gelegenheit, unsere junge Freundschaft zu feiern, der Mogiljower Generaldirektor und sein Dolmetscher aus der DDR. Leider trennten sich dann bald unsere Wege aus beruflichen Gründen. Glückliche Umstände ermöglichten mir 40 Jahre später einen Besuch im Mogiljower Kombinat. Am 16. Juli 2019 wurden mein Begleiter und ich, nach vorheriger Anmeldung, vom Vertreter der Generaldirektion der offenen Aktiengesellschaft OAG „Mogiljowchimwolokno“, Petr Michailowitsch Rudnik, zu einem Freundschaftsbesuch empfangen. Im neuen, aus Anlass des 50. Gründungstages des Kombinates, eingerichteten Betriebsmuseum stellte man uns Bilder und Produktmuster aus der Geschichte des Kombinats vor. Voller Stolz beschrieb man den geradezu heroischen Beitrag der Belegschaft zum Ausbau des Kombinates, das noch immer bestrebt sei „stets Erster im Wettbewerb um beste Qualität der Produkte“ zu sein. 1. 1977 im MKSW in Mogiljow. 2. Pavel Nikolajewitsch Sernow mit dem deutschen Dolmetscher Helmut Braunschweig 1977 in Premnitz.
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