Begegnung mit einem leidenschaftlichen Freund deutsch-russischer Verständigung - Leonid Potschiwalow6/3/2020 Dr. Helmut Domke, 2020Dr.sc.nat. Helmut Domke, 1966-1990 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Astrophysikalischen Observatorium Potsdam der Akademie der Wissenschaften, nach 1990 Staatssekretär im Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten, 1990-1994 Bevollmächtigter des Ministerpräsidenten des Landes Brandenburg für Fragen des Abzuges der sowjetisch/russischen Streitkräfte und für Konversion, Ehrenvorsitzender der Stiftung West-Östliche Begegnungen. Am 12. Juni 2019 wurde im Deutsch-Russischen Museum in Karlshorst eine bemerkenswerte Ausstellung eröffnet. Sie berichtete über ein Schiff mit einem einzigartigen deutsch-russischen Lebenslauf. Getauft auf den Namen „Mars“, lief es 1939 in Bremerhaven als Frachtschiff vom Stapel. Ende 1944 bis zum April 1945 brachte es ca. 20 000 Flüchtlinge und Verwundete aus der Kriegszone in Ostpreußen und Königsberg. und gelangte nach dem Krieg als Reparation in den Besitz der Sowjetunion. Umgebaut als Forschungsschiff unter dem Namen „Witjas“ wurde es weltbekannt durch die Entdeckung der größten Tiefe der Weltmeere (11 034 m) im philippinischen Marianengraben. Im Jahre 1979 wurde das Schiff endgültig außer Dienst gestellt, ging in Kaliningrad vor Anker und rostete dort 10 Jahre vor sich hin. Dem Schriftsteller und Journalisten Leonid Potschiwalow ging das Schicksal dieses einzigartigen Zeugnisses deutsch-sowjetischer Geschichte sehr nahe. In einem Zeitungsartikel alarmierte er die Öffentlichkeit und wurde bei einflussreichen Personen in der sowjetischen Regierung vorstellig, die er aus seiner journalistischen Tätigkeit zumeist auch persönlich kannte. Er hatte Erfolg: Die „Witjas“ wurde gerettet und im Jahre 1995 schließlich zum Ausgangspunkt für das heutige „Museum der Weltmeere“ in Kaliningrad. Meine eigene Begegnung mit Leonid Viktorowitsch Potschiwalow ging zurück auf einen Aufsehen erregenden Beitrag in der „Literaturnaja Gaseta“ unter dem Titel „Die Deutschen und wir“ aus dem Jahre 1988. Als erfahrener Journalist mit guten Verbindungen auch zu Freunden in der DDR und unter Bezug auf eigene biografische Wurzeln plädierte er für einen neuen Blick auf die Beziehungen zwischen Deutschen und Russen. Mit seiner These, dass es trotz zweier deutscher Staaten nur ein deutsches Volk gebe, widersprach er der Regierung der DDR. Sie erklärte ihn postwendend zur persona non grata. In der Sowjetunion schlug der Artikel Wellen bis in die Führung der KPDSU. Als damaliger Abonnent der „Literaturnaja Gaseta“ fiel mir der Artikel sofort auf. Spontan setzte ich mich hin, schrieb Herrn Potschiwalow einen Brief und dankte ihm für seinen aufrichtigen, ehrlichen und kritischen Blick auf die deutsch-sowjetischen Beziehungen. Wir konnten damals beide nicht ahnen, dass wir uns sehr bald auch persönlich begegnen würden. In der Bundesrepublik hielten manche Experten den Artikel für einen publizistischen Versuchsballon des Kreml und den Namen seines Autors Potschiwalow für ein Pseudonym. Allerdings nicht so der Bonner Militärhistoriker Professor Hans-Adolf Jacobsen und der Leiter der Evangelischen Akademie Mülheim an der Ruhr, Dr. Dieter Bach. Sie griffen den Ball sofort auf, setzten sich mit der „Literaturnaja Gaseta“ in Verbindung und gründeten gemeinsam die sogenannte „Mülheimer Initiative für Verständigung und Versöhnung“. Nach dem Fall der Mauer konnte ich mich 1990 dieser Initiative anschließen und lernte Leonid Potschiwalow nun auch persönlich kennen. Die „Mühlheimer Initiative“ entwickelte sich rasch zu einer einzigartigen Plattform für Begegnungen und Dialog zwischen bekannten und einflussreichen Experten sowie alten und neuen Politikern aus Russland und Deutschland. Darüber hinaus nutzte sie ihr Potential und die Netzwerke ihrer Mitglieder zur Initiierung konkreter Projekte. Sie unterstützte den Aufbau eines innovativen Heilpädagogischen Zentrums für Menschen mit Behinderungen in Pskow und den Aufbau des „Museums der Weltmeere“ in Kaliningrad. Mit Leonid Potschiwalow verband mich sehr bald auch eine persönliche Freundschaft. Gemeinsam waren wir uns darin einig in dem Versuch, im Juni 1991 den 50. Jahrestag des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion erstmals als einen Tag der gemeinsamen deutsch-russischen Erinnerung und Versöhnung zu begehen. Wir schlugen der Mülheimer Initiative aus diesem Anlass zwei Projekte vor, die zunächst phantastisch anmuteten: Eine Begegnung zwischen Soldaten der noch in Deutschland anwesenden Sowjetischen Truppen und Soldaten der Bundeswehr in Potsdam sowie parallel dazu ein Konzert im Tschaikowski-Saal in Moskau mit einem sowjetischen Orchester und dem bekannten deutschen Dirigenten Kurt Masur. In Moskau widmete sich Leonid Potschiwalow enthusiastisch und mit Erfolg dem Zustandekommen des geplanten Konzerts. Dabei kamen ihm seine guten Verbindungen zum damaligen Vorsitzenden der Deutschen Bank Christians sowie zu namhaften Musikern, Künstlern und Politikern zugute. In Potsdam lud Ministerpräsident Stolpe je 150 Soldaten der Westgruppe und der Bundeswehr und Vertreter der zivilen Öffentlichkeit zu einer Begegnung am 21. Juni 1991 ein. Sowohl bei der Bundeswehr als auch in Wünsdorf stießen die Einladungen zunächst auf gewisse Vorbehalte. Zu ungewöhnlich war eine Einladung zu einer gemeinsamen Veranstaltung und Begegnung zur Erinnerung an den deutschen Überfall auf die Sowjetunion vor 50 Jahren. Als aber die beiden Außenminister ihr Interesse bekundeten, an dieser Veranstaltung teilzunehmen, waren die anfänglichen Zweifel der Militärs auf beiden Seiten endgültig überwunden. Leonid Potschiwalow sprühte auch später mit unkonventionellen Ideen für gemeinsame Projekte und Symbole deutsch-russischer Verständigung und Versöhnung. Nicht alle Ideen ließen sich verwirklichen. Erfolgreich war aber seine Idee, erstmals eine Musikschule in Moskau nach einem deutschen Komponisten zu benennen. Leonid Potschiwalow gelang es sogar, Bundeskanzler Helmut Kohl als Schirmherren für dafür zu gewinnen. Es war ebenfalls seine Idee, am 2. September 1995, dem 50. Jahrestag der Beendigung des Zweiten Weltkriegs, an der Minsker Chaussee, am 72. Kilometer vor Moskau, wo 1941 der Vormarsch der deutschen Truppen zum Stehen kam, ein gemeinsames deutsch-russisches Mahnmal des Friedens und der Versöhnung errichten. Der bekannte Moskauer Künstler Alexander Rukawischnikow schuf dafür eine symbolische Skulptur auf einem steinernen Sockel mit der Aufschrift „Über der Asche der Toten Friede den Lebenden“, einem Spruch des altrömischen Philosophen Seneca . Leonid Potschiwalow blieb auch weiterhin voller Ideen und sparte dabei auch menschlich tragische Seiten deutsch-russischer Geschichte nicht aus. Ihm ist es zu verdanken, dass es im Jahre 2005 möglich wurde, am Massengrab Nr. 3 auf dem Friedhof des Donskoe Klosters in Moskau in Anwesenheit von deutschen und russischen Politikern und Angehörigen von Betroffenen einen Gedenkstein einzuweihen zur Erinnerung an deutsche Bürger, die in den Jahren 1949 – 1953 dem Stalinschen Terror zum Opfer fielen und an diesem Ort ihre letzte Ruhestätte fanden. Am 9. Mai 2008 verstarb Leonid Potschiwalow in Moskau im Alter von 84 Jahren. Bis zu seinem Lebensende sind wir einander freundschaftlich eng verbunden geblieben. Literaturhinweise Leonid Potschiwalow, Russland, Gorbatschow und die Deutschen, Bonn Aktuell, 1989 Leonid Potschiwalow, Die Deutschen und wir, Bonn Aktuell, 1992 Berichte über die Veranstaltungen zum 50. Jahrestag des Überfalls fanden ihren Niederschlag u.a. in der Literatur: Матвей Бурлаков, Возвращение. Записки — Союз ЗГВ, Москва 1994, стр, 54; J. Kwitsinski, Vor dem Sturm: Erinnerungen eines Diplomaten, Berlin 1993, S. 112.
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