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Blicke auf Deutschland

Er hat auch für seine Heimat gekämpft

16/2/2020

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Übersetzung aus dem Russischen

Nina Bondarenko, 2020

Nina Bondarenko, Jahrgang 1935, lebt in Russland, Kursker Gebiet, Siedlung Gluschkowo. Sie war Lehrerin und Stellvertretende Schuldirektorin.
79 Jahre trennen uns von jenem schrecklichen Tag, dem 22. Juni 1941, der das Schicksal aller Menschen in der Sowjetunion in ein “Vorher” und ein “Nachher” teilte. Ich war damals 6 Jahre alt, aber bis heute stehen mir furchtbare Bilder vor den Augen. Ich sehe die erschrockenen und verweinte Augen meiner Mutter, die zärtliche und zugleich feste Hand meines Vaters, genau in dem Moment, als er an die Front ging. Dann kam der Rückzug der Roten Armee, dem lange, schwere Monate der Okkupation folgten, dann die Befreiung und der lang ersehnte Tag des Sieges, der 9. Mai 1945. - Die Zeit seit jenen Kriegsjahren verging sehr schnell, mein Leben habe ich der Erziehung von Kindern gewidmet. Fast 50 Jahre arbeitete ich in der Schule in meinem Heimatkreis Gluschkowo, 150 km westlich von Kursk, zuerst als einfache Lehrerin der Russischen Sprache und Literatur, dann als Stellvertretende Direktorin. Jedes Jahr zu den Gedenktagen legten wir zusammen mit den Schülern und Schülerinnen unserer Schule Blumen auf das Massengrab im Park der Siedlung Gluschkowo nieder. Hier sind sowjetische Soldaten und Partisanen bestattet, die bei der Befreiung des Bezirks Gluschkowo von der faschistischen Horde ihr Leben ließen. Aber nicht nur sowjetische Soldaten ruhen in dem malerischen Park der Siedlung Gluschkowo, die dank ihrer Schönheit und natürlichen Reinheit “russische Schweiz” genannt wird. Unter einem schweren Stein liegt ein Oberleutnant der deutschen Wehrmacht begraben. Auf der Gedenktafel steht sein Name: Otto Adam - Deutscher, Partisan. Was bedeutet das?
Eine zarte Liebesgeschichte zwischen dem deutschen Offizier Otto Adam und der russischen Dolmetscherin und Partisanin Mascha Wassiljewa gibt Auskunft. Sie ereignete sich in der Region am Kursker Boden. In einer schrecklichen Zeit haben die jungen Leute einander kennen- und lieben gelernt, zusammen gekämpft und ihr Leben für die Befreiung der Welt von Faschismus gegeben. Von Seiten des Deutschen Otto Adam war das ein Akt des Widerstandes gegen das verbrecherische Regime des Nationalsozialismus. - In meiner Erzählung will ich aber nicht ausführlicher auf diese Geschichte eingehen. Ich will eine andere Geschichte erzählen.
Es war im Jahre 1970. Zum 25. Jubiläum des Sieges waren der Onkel und die Tante von Otto Adam nach Gluschkowo eingeladen, sie kamen aus der damaligen DDR. Ich erinnere mich an dieses Treffen ganz gut. Als Stellvertreterin des Schuldirektors habe ich an dieser Begegnung teilgenommen. Ottos Onkel und Tante (leider habe ich ihren Vornamen nicht behalten) blieben mir ganz deutlich im Gedächtnis. Herr Adam, ein großer, kräftiger Mann, arbeitete als Direktor der Parteischule in Leipzig. Seine Frau war eine schöne, schlanke Frau, sie sah recht jung aus. Herr Adam erzählte über seinen Neffen, er sei ein ruhiges, gutherziges Kind gewesen, das gern bastelte und leidenschaftlich gern Goethedichte las. Die Gäste aus der DDR besuchten unsere Schule, das Heimatmuseum, wo eine Abteilung ihrem Neffen Otto und seiner Mascha gewidmet war. Die deutschen Gäste lasen in Maschas Heften und im Tagebuch, hielten ihr Pioniertuch in den Händen. Mit besonderer Ehrfurcht berührten sie Maschas Zöpfe, die Maschas Mutter der toten Tochter vor der Beerdigung zum Andenken abgeschnitten und später dem Museum geschenkt hatte. Als ob sie den Wunsch gehabt hätten, in die Seele dieses russischen Mädchens, das das Schicksal ihres Neffen so verändert hatte, hineinzuschauen. Zusammen trugen wir Blumen zum Grab. Herr und Frau Adam hatten ein Klümpchen deutschen Bodens mitgebracht. Herr Adam legte seine Hand auf den schweren Stein und sagte: “Otto hat sein Leben im Kampf gegen unseren gemeinsamen Feind, den Faschismus, gegeben. Er hat auch für seine Heimat gekämpft. Unsere Aufgabe ist es, den Frieden zu bewahren. Vielen Dank den Bewohnern des Kreises Gluschkowo für das Gedenken.”
So war dieses Treffen. Ich möchte noch hinzufügen, dass das Denkmal bei uns sehr beliebt ist, besonders unter Liebespaaren. Es gibt eine Tradition: Am Tag der Vermählung legen Braut und Bräutigam Blumen an diesem Denkmal nieder, zum Zeichen, dass ihre Liebe auch so treu und grenzenlos wie von Otto und Mascha werden möge.
Die berührende Liebesgeschichte von Otto und Mascha lässt keinen kalt. Viele Menschen besuchen den Park und das Grab. Es waren schon viele Delegationen hier, aus Frankreich, aus den USA, ganz zu schweigen von den Delegationen aus verschiedenen Städten Russlands. Unsere Siedlung liegt ziemlich weit vom Gebietszentrum Kursk entfernt, aber die malerische Gegend zieht viele Besucher an. Ich habe fast alle Treffen begleitet, aber keines hat mich so tief beeindruckt, wie der Besuch der Familie Adam. Diese Menschen strahlten so etwas Einfaches, Warmes und Familiäres aus, und ich konnte das durch mein ganzes Leben mit mir tragen.
Beim Schreiben dieser Zeilen kommt mir noch ein Gedanke in den Kopf. Otto Adam ist für uns ein Held, er ist ein Vorbild an Tapferkeit, Treue und Selbstaufopferung. Aber wie viele deutsche Soldaten liegen in russischem Boden! Das Problem der Gräber der Soldaten des Kriegsgegners war für uns immer ein starkes moralische und soziales Trauma. Ende der 1980-er, Anfang der 1990-er Jahre begannen sich die Vertreter der Deutschen Kriegsgräberfürsorge in der Bundesrepublik mit der Frage der Einrichtung deutscher Gräberanlagen an russische Behörden zu wenden. Damals war ich Abgeordnete des Gemeinderats und wir besprachen auch dieses Problem. Obwohl letzten Endes auf dem Territorium des Kreises Gluschkowo kein deutscher Friedhof eröffnet wurde, waren in die Erörterung dieser Frage doch alle Verwaltungsstrukturen einbezogen. Unsere Gebietsregierung wollte zuerst die Meinung der Kriegsveteranen hören und stieß anfangs auf Ablehnung und Verwirrungen. Es hieß, nach dem schweren Schicksal, das unser Volk im Großen Vaterländischen Krieg erleiden musste, als es in Russland keine einzige Familie gab, die vom Krieg verschont geblieben war, kann doch von einer würdevollen Bestattung der Nazi-Invasoren keine Rede sein! Aber die Zeit verging. Und die Stimmung wandelte sich. Ich hatte jemanden, mit dem ich dieses Thema besprechen konnte. Mein Vater, der Veteran des Krieges war, lebte damals noch. Ich fragte ihn, was meinst du dazu. Er schwieg ein Paar Minuten und dann sagte: “Jeder Mensch hat das Recht, nicht vergessen zu werden. Es muss sich schon ein Ort auf unserer groꞵen Erde finden, wo jemand sich an ihn erinnern und Träne vergießen kann. Die Erinnerung ist das Paradies, aus dem niemand einen anderen Menschen verjagen kann.“ Wie sagt doch ein russisches Sprichwort: Ein Krieg ist nicht zu Ende, bis dass der letzte Soldat nicht begraben ist. Ganz gleich auf welcher der kämpfenden Seiten er gestanden hat. Und jetzt verstehe ich: Diese neuen Grabanlagen für deutsche Soldaten in Russland sind ein Symbol der Versöhnung zwischen unseren Völkern, damit sich solch eine Tragödie nie wiederholt.
Im vergangenen Jahr, am 22. Juni 2019, hatte ich das Glück, an einem weiteren wichtigen Ereignis teilnehmen zu können. Vom Soldatengrab in unserem Park wurde eine Handvoll Erde genommen, in einer Geschosshülse versiegelt und nach Moskau geschickt, damit sie dort im Mai 2020 in eine neue Kathedrale gebettet werden kann. Von Tausenden Grabstätten wird Erde zusammengetragen. Dank der Familie Adam ist in unserer Hülse auch ein Stück deutschen Bodens. Ich sehe darin ein Zeichen für die Annäherung des russischen und des deutschen Volkes.
Hier ist ein Foto, das mir sehr lieb ist. Auf dem Foto sind Herr und Frau Adam in der Mitte zu sehen und andere Menschen, die ich sehr liebte und mit denen mich viele Ereignisse in meinem Leben verbinden.
Bild
Besten Dank an die Mitarbeiterinnen der Südwestlichen Staatlichen Universität in Kursk, Frau Dozentin Marina Ignatova, Frau Dozentin Svetlana Galtschenko und an Herrn Detlef Bethge für ihre Mitarbeit.
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