Im Raum Gotha gab es keine sowjetischen Kriegstoten aus unmittelbarem Kampfgeschehen. Die Rote Armee rückte in die Stadt und den Landkreis vereinbarungsgemäß am 2. Juli 1945 vor und übernahm von der amerikanischen Kommandantur die oberste Befehlsgewalt. Dass die einrückenden Einheiten in ihren Lazaretten Sterbenskranke mitbrachten, ist nicht anzunehmen. Doch im Sommer 1945 und danach kam es überall in der SBZ zu zahlreichen Todesfällen unter Rotarmisten, meist in Folge von Unfällen, unachtsamem Umgang mit Waffen, handgreiflichen Auseinandersetzungen unter den Soldaten oder durch selbstverschuldete Vergiftung mit Methylalkohol. Es gab auch Suizide. Über all den Todesursachen liegt noch immer tiefes Schweigen. Anschläge seitens der Einwohner Gothas sind nicht bekannt. Die sowjetische Stadt- und Kreiskommandantur Gotha hatte sich gemeinsam mit den stationierten Truppen auch um die Gräber von Toten der Kriegsjahre zu kümmern, um ermordete und verstorbene „Ostarbeiter“, KZ-Häftlinge und Kriegsgefangene. Erkundungen zu vorhandenen Grablegungen, deren Registrierung und die würdige Gestaltung gehörten zu den Aufgaben einer jeden sowjetischen Kommandantur in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands. Im März 1946 stellte ein zentraler Sowjetischer Befehl fest, dass die Kommandanturen diese Arbeit vernachlässigten.¹ Verabredungen der Alliierten zum Umgang mit den Toten der Staaten der Antihitlerkoalition und anderer Nationen dürften den Druck vergrößert haben, die Erfassung und Bergung zu beschleunigen. In Gotha waren neben „Ostarbeitern“ aus der Sowjetunion auch Polen, Letten und Tschechen im Arbeitseinsatz gewesen, sowie als sogenannte „Westarbeiter“ Franzosen, Italiener, Belgier und Niederländer.² Die zehrenden, unmenschlichen Arbeits- und Lebensbedingungen hatten vor allem unter den „Ostarbeitern“ Tote gefordert. Zahlreiche Fremde kamen auch durch Luftangriffe auf die Stadt und ihre Umgebung ums Leben. Viele Kriegsgefangene und KZ-Insassen waren im Kreis Gotha grausam ermordet worden, z. B. im Lager Ohrdruf. Besagter Befehl wies zum 1. Mai 1946 den Abschluss der Registrierung aller Gräber an. Künftig sollten die Grabstätten in die Verantwortung der deutschen Lokalbehörden übergehen, die „Schutz und vollständigen Unterhalt“ zu gewährleisten hätten. Die weitere Entwicklung der Grabanlagen und Gedenkstätten stellte in Gotha keine Besonderheit in der SBZ dar, weist aber einige bemerkenswerte Züge auf. Am 30. April 1946 übernahm Oberbürgermeister Hossfeld namens der Stadtverwaltung gegenüber dem Kommandanten die Verpflichtung zur Pflege der Gräber für Tote der Roten Armee und der Vereinten Nationen.³ Das bedeutete zunächst, die bekannten Stellen durch Wachen rund um die Uhr zu schützen. Im Weiteren ergaben sich aber organisatorische Aufgaben in stark wachsendem Umfang. Nach einer Ortsbesichtigung am 25. April 1946 wies die Kommandantur Arbeiten für drei Standorte an.⁴
Die Kommandantur gab als Termin für die gartenbauliche Fertigstellung den 1. November 1946 vor. Mindestens 30 Gräber seien bis dahin einzurichten. Jeder Zeitverzug würde als Sabotage angesehen, hieß es. Das Städtische Bauamt errechnete Ausgaben von rund 78.000 RM für erste Arbeiten⁵, was großzügig bilanziert war. Die Kommandantur wies an, auf beiden neuen Anlagen auf dem Hauptfriedhof Denkmale zu errichten, für das auf dem “Militärfriedhof“ sei eine Vorlage von den stationierten Truppen zu erwarten. Beim „Ausländerfriedhof“ dachte man an einen Obelisken. Auch ein Springbrunnen sollte auf dem Gelände des deutschen Friedhofes entstehen. Später wurde ein Denkmal sogar für den jüdischen Friedhof ins Auge gefasst, bevor man sich dann wohl doch für Umbettungen entschied. Am 26. September 1946 erhielt Hans Herr, Steinmetzmeister Gotha, Am Friedhof V, Bildhauerei und Granitwerk, von der Stadt den Großauftrag über die Anfertigung von 120 Grabaufbauten mit je einer Grabeinfassung aus Muschelkalk. Die Anfertigung der Grabsteine in 40 cm mal 50 cm Größe mit geschliffener Vorderseite und aufgemaltem rotem Stern teilte er sich mit anderen Steinmetzen. Die Grabsteine waren nach Vorgaben in kyrillischen Buchstaben zu beschriftet. Sowohl für den“ Militärfriedhof“ als auch für den „Ausländerfriedhof“ waren solche Gräber gedacht.⁶ Trotz Material- und Benzinmangels wurde der Termin gehalten. Ende 1946 umschloss der „Militärfriedhof“ bereits 50 Gräber, der „Ausländerfriedhof“ 75 Gräber; ersteren zierte ein Monument, zweiteren ein 6 m hohes Denkmal ohne Text.⁷ Das noch heute vorhandene Monument am „Militärfriedhof“ wurde am 7. November 1946, dem Jahrestag der Oktoberrevolution, feierlich präsentiert. Den Gothaern ist offenbar nicht bewusst, dass sich das Gothaer Soldatendenkmal in der Reihe sowjetischer Denkmale in Ostdeutschland gestalterisch und inhaltlich sehr besonders ausnimmt. Das regelrecht modern wirkende Denkmal besteht aus drei Stelen und zwei Säulen über einer neunstufigen Treppe. Die mittlere Stele zeigt als Relief ein ungewöhnliches Soldatenbildnis, einen sehr jungen, barhäuptig trauernden Soldaten. Sein recht langes, schwungvolles Haar war eine Errungenschaft der ersten Nachkriegswochen. Das Bild steht für den in Thüringen Anfang Juli 1945 einmarschierenden Rotarmisten, der den hohen Preis des Sieges schon begreift. Der russische Text auf den Stelen ist ebenfalls ungewöhnlich und war offenbar die unzensierte Eingebung eines stationierten Truppenführers. Denn von sowjetischer Heimat ist hier – anders als fast sonst überall - nicht die Rede. Ruhm und Ehre gelten den siegreichen „russischen“ nicht den „sowjetischen“ Soldaten. Ins Auge fällt zudem die überdimensionierte Gesamtanlage. Man muss davon ausgehen, dass mit 250 und mehr Grabstellen gerechnet wurde. Und tatsächlich fanden sich ja im Kreis Gotha weitere vergessene Gräber aus der Kriegszeit. Möglicherweise hatte man erwogen, die sowjetischen Opfer unter den KZ-Toten aus Ohrdruf, Crawinkel, Espenfeld und von den Todesmärschen östlich von Gotha auf die Grabanlage in der Stadt umzubetten. Doch das wurde bestenfalls ansatzweise realisiert. Die 18 Toten vom jüdischen Friedhof kamen als unbekannte Tote an diesen Gedenkort. Eine russische Liste erwähnt, dass unter den unbekannten Toten des Militärfriedhofes auch drei Tote aus Mühlburg sind, verstorben im Oktober 1945.⁸ Mitte 1947 fiel in Gotha und anderswo der schlechte Zustand der flüchtig eingerichteten Grabanlagen auf. Die Kommandanturen wurden angewiesen, Verbesserungen einzuleiten: stabilere Einfriedungen aus Beton und festere Wegränder anzulegen, Metall- statt Holzzäune aufzustellen. Zugleich wurde in Gotha – wie anderswo auch - fortgesetzt umgebettet. Als die beiden Grabanlagen am 16. April 1948 offiziell in die Pflege und den Schutz der Gothaer Stadtverwaltung übergeben wurden, bestand der „Militärfriedhof“ aus 76 Gräbern, der „Ausländerfriedhof“ oder „Friedhof der Vereinten Nationen“, der heute offiziell „Gräberfeld Alliiertenhain“ heißt, aus 273 Grablegungen. Laut Übergabeprotokoll war jedes Grab mit einem Grabstein versehen.⁹ Der Obelisk am „Ausländerfriedhof“ erhielt 1948 – ebenfalls von Steinmetzmeister Hans Herr ausgeführt - in Russisch die Inschrift: „Ewiges Gedenken den Sowjetbürgern und den Bürgern anderer Nationen, die in faschistischer Gefangenschaft fielen und starben 1941-1945“.¹⁰ Die Stadt war von den Steinmetzen, Gartenbauern, Tischlern und Arbeitern zum November 1948 hin mit Rechnungen über 21.000 DM allein für den Militärfriedhof belastet worden.¹¹ Für die Gothaer Stadtverwaltung stellte die Finanzierung des Aufbaus der Anlagen eine arge Erschwernis dar, doch ein Teil der Probleme war hausgemacht. Seit Anfang 1946 war bekannt, und ein Hinweis aus Weimar klärte ausdrücklich auf, dass keine sowjetische Stelle die Kosten übernehmen darf, sondern dass die deutschen Landeshaushalte sie als Besatzungskosten zu verrechnen hatten.¹² Das Friedhofsamt und der Rat der Stadt in Gotha versuchten dennoch, den kürzeren Weg zu gehen. Sie baten die Stadt- und Kreiskommandantur und die sowjetische Bauverwaltungen KETSCH mehrmals um Geld, nachdem das Land Thüringen missverständlich erklärt hatte, die Kosten seien aus den Etats der Bürgermeister und Landräte zu bewältigen.¹³ Anfang 1948 rechnete die Stadt der Kommandantur Gesamtausgaben von rund 41.300 RM vor, vom Land Thüringen waren nur 15.000 RM gekommen. Doch sie scheiterte, und die Stadt bekam die Kosten so nicht kompensiert. Die Stadt drängte gegenüber dem Land nicht energisch genug auf Verrechnung der Schulden, die zu Jahresbeginn 1949 (trotz weiterer Landesmittel) auf 55.000 bis 60.000 DM angewachsenen waren. Erst im Oktober 1949 bekam die Stadt über das DDR-Finanzministerium 42.700 DM überwiesen, und auf spezielle Weisung der Sowjetischen Kontrollkommission 1950 noch einmal 13.500 DM für „Altschulden“ aus dem Friedhofsanlagenbau.¹⁴ Die Nachwendegeschichte der Friedhofsanlagen als Teil des städtischen Hauptfriedhofes in Gotha ist ebenfalls erwähnenswert. Der „Militärfriedhof“ blieb mit 78 Einzelgräbern und dem ungewöhnlichen Denkmal erhalten. Die absolute Mehrzahl der Toten war 1946/47 zu Tode gekommen, das heißt als Besatzungsmilitärs. Zwei höhere Offiziere sind ausgewiesen: ein Major Larin, verstorben im August 1945, und ein Hauptmann Kotelovcev, verstorben 1947. Weibliche Namen ohne Dienstgrad belegen, dass hier auch Frauen und Kinder von Besatzungspersonal beigesetzt wurden. Das Grab Nr. 42, beispielsweise, beschriftet mit Marutjan Julietta Leontevna, birgt die sterblichen Überreste der Tochter eines Militärangehörigen; sie starb 1947. Die ursprünglich strenge Teilung in Militärs und Zivilisten für die beiden Großanlagen wurde also aufgehoben, weil man Angehörige von Militärdienstleistenden nicht bei den Zwangsarbeitern beisetzen wollte. Leider bringen auch russische Verzeichnisse kein Licht ins Dunkel eines Kuriosums auf dem „Militärfriedhof“: zwei Grabsteine enthalten identische Aufschriften. Es mag zwar Namensvettern gegeben haben, aber gewiss nicht solche mit gleichem Geburts- und Todesjahr. Vermutlich ging ein und dieselbe Schriftvorlage an zwei deutsche Steinmetze, - und den deutschen Friedhofsarbeitern war es wohl egal… Die Anlage ist heute wenig gepflegt. Die Verlagerung einer Antifa-Gedenkstätte nach dem Abriss des Denkmals im Rosengarten (2011) an den Rand dieses „Militärfriedhofes“ hat dem Erscheinungsbild eher geschadet, denn beide Gedenkorte fristen ein trauriges Dasein. Die Gräber des „Ausländer“- oder „Alliiertenfriedhofs“ wurden nach der Wende eingeebnet. Nachdem bereits in den fünfziger und den siebziger Jahren einige Umbettungen von Toten westlicher Staatsangehörigkeit stattgefunden hatten, legte der souveräne Staat Lettland nach 1991 Wert darauf, dass neben den schon immer in einem Massengrab beigesetzen 85 toten baltischen Ostarbeitern und deren Familienangehörigen, verstorben 1942 bis 1945 und sehr zahlreich beim Bombenangriff auf Gotha vom 6. Februar 1945, weitere 21 lettische Kriegsopfer aus der Anlage des „Alliiertenfriedhofs“ am Obelisken mit dem roten Stern entfernt werden. Sie erhielten eine neue Ruhestätte nahe den deutschen Kriegstoten. Auf diese Weise reduzierte sich die Zahl der Toten um den Obelisken auf 195, darunter 14 Unbekannte und – nachweislich - 49 Kinder. Die Todesdaten reichen von Juni 1942 bis November 1947. Zu den ersten Toten zählten zwei Ukrainerinnen, eine Zwanzigjährige und eine Einunddreißigjährige. Es sind auffallend viele Tote des Frühjahrs 1945 auszumachen und fast keine aus dem Jahr 1946. Wenn man weiß, dass die Rückführung der zivilen Zwangsarbeiter aus der UdSSR 1947 im Großen und Ganzen abgeschlossen wurde, erscheint die Zahl der im gleichen Jahr in Gotha Bestatteten hoch. Es waren wohl viele Kleinstkinder und Säuglinge darunter. Die Namen der Toten, soweit sie einen Namen hatten und dieser erfasst war, finden sich heute auf 12 Bronzetafeln zu ebener Erde. Eine Tafel gibt Auskunft über die Grablegung. Was es mit den beiden, mit sowjetischen Insignien markierten, separaten großen Grabanlagen auf dem Gothaer Hauptfriedhof auf sich hat, wissen heute nur sehr wenige Gothaer. Dr. Elke Scherstjanoi, Historikerin ¹ Befehl Nr. 89 des Obersten Chefs der SMAD und Oberkommandierenden der GSBSD, 16./18.3.1946, Bundesarchiv, Z 47F, 7317/8/4, Bl. 237f.
² Stadtarchiv Gotha (weiterhin StadtA Gotha), 1.2/341 n.f. ³ Notiz Hossfeld, 3.5.1946, StadtA Gotha, 1.2/326; siehe auch ebenda, 1.2/324. ⁴ Planungsunterlagen und Berichte, StadtA Gotha, 1.2/324, 326. ⁵ StadtA Gotha, 1.2/768, Bl. 72. ⁶ StadtA Gotha, 1.2/279, Bl. 12. ⁷ Meldung an die SMATh, 4.12.1946, StadtA Gotha, 1.2/324. ⁸ Die russische Internetseite память народа bietet Recherchemöglichkeiten unter digitalisierten Beständen russischer Archive, darunter Auflistungen von Namen auf Soldatenfriedhöfen in Deutschland. ⁹ Übergabeprotokoll, 16.4.1948, StadtA Gotha, 1.2/768, Bl. 19. ¹⁰ StadtA Gotha 1.2/279, Bl. 23. ¹¹ StadtA Gotha, 1.2/279, Bl. 3f. ¹² Schreiben der Deutschen Zentralverwaltung für Finanzen, 23.5. 1946, StadtA Gotha, 1.2/324 n.f.. ¹³ Schreiben des Thüringer Landesamtes für Finanzen, 16.7.1946, StadtA Gotha, 1.2/768 n.f.. ¹⁴ StadtA Gotha, 1.2/768, Bl. 94, 104.
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